Wiederaussetzen selbst gefangener Königinnen/Kolonien

  • Hallo,


    ich wollte einmal kurz nachfragen wie eure Meinungen bzw. Erfahrungen zu dem Thema Aussetzen von Kolonien sind?


    Das es sich dabei um heimische Ameisen handeln muss, die am besten in der Gegend freigelassen werden aus der sie auch entnommen wurden, gilt hier als Grundlage.


    Für mich am interessantesten wären Erfahrungen mit großen Kolonien 1000+.

    Ich glaube ja, das es so oder so ein Problem darstellt solch eine große Kolonie auszusetzen. Dies wäre doch ein großer Eingriff in die nähere Umgebung und betrifft viele andere Arten nicht nur andere Völker. Dies hält mich persönlich davon ab. Auch wenn ich eigentlich glaube, dass ältere Kolonien in der Natur wesentlich größer und auch verteidigungfähiger wären als meine Lasius niger aus der Wohnungshaltung.


    Habt ihr schon einmal größere Kolonien freigelassen?

  • Hi Kryolan


    wie du selbst sagst: Die Regionalität der Art ist ohnehin schon eine Grundvoraussetzung. Natürlich (leider muss man das aber immer wieder sagen, es gab ja genug Fälle) verbietet es sich von selbst, exotische Arten auszusetzen, da diese ein invasives Potential darstellen.


    Ich hatte einmal eine kleine Myrmica rubra-Kolonie (ca. 50 Tiere) bei meiner Mutter im Garten ansiedeln wollen - sie wurde binnen der ersten Nacht dahingemetzelt von einer mehrere Meter entfernten Lasius niger Kolonie. Das war meine erste und letzte Erfahrung, ist sicher 20 Jahre her. Das ist aber natürlich jetzt nicht zu vergleichen mit einer 1000+ starken Kolonie.


    Effektiv ist es so: Die meisten Nischen sind ja schon besetzt. Das ist auch ein wichtiger Grund, warum es ca. 99% der Gynen nach dem Schwarmflügen nicht schaffen, überhaupt eine Kolonie zu gründen. Nach der Landung sind andere Ameisenkolonien der Haupt-Todesgrund (neben Vögeln). Attraktiv erscheinende Standorte sind meist schon erschlossen und werden entsprechend verteidigt.



    Als Ameisenheger kann ich dich aber an der Umsetzung großer Kolonien (alle Formica s. str., seltener Formica sanguinea ) teilhaben lassen, das ist vielleicht eher vergleichbar. Da geht es aber im Normalfall um noch eine Liga größer, min. mehrere 10.000, wenn nicht gar mehrere 100.000 Tiere werden hier im Normalfall umgesetzt. Das Problem hier ist v.a. auch ganz am Anfang die Standort-Wahl. Wir versuchen, eine direkte Konkurrenz möglichst gut auszuschließen (keine anderen Formica-Arten, bestenfalls auch keine Camponotus in der Umgebung von min. ca. 50-100m Radius). ABER: Es gibt fast immer kleinere Arten in der Nähe, also Lasius, Myrmica, Temnothorax/Leptothorax, usw, da man das fast nicht vermeiden kann. Wenn die nicht vorkommen, ist meist dafür der Untergrund untauglich (zu nass usw.) und es hat schon seine Gründe, warum man keine Ameisen findet.

    Natürlich setzen wir nicht gezielt die Waldameisen auf oder nahe deren Nester, können aber eine Nachbarschaft auch nicht immer ausschließen. Für die anderen Kolonien bedeutet das eine Verdrängung, das ist leider so. Denn die Waldameisen werden bei Etablierung durchaus wichtige Nahrungsgründe wie Lauskolonien in Beschlag nehmen. Dennoch ist es nicht selten, dass man Waldameisen natürlicherweise neben, nennen wir sie mal "kleinen Ameisen", findet. Generell gehen sie sich eher aus dem Weg, als den Kampf zu suchen. Eine Formica neben einer anderen Formica zu platzieren wäre - fast egal welche Arten - jedoch Auslöser eines Kriegszustands und würde auf Dauer vermutlich zur Auslöschung einer der Kolonien führen. Wir haben solche Fälle selbst bei vorheriger, eingehender Prüfung leider gehabt, dass doch irgendwo eine ähnliche Art versteckt war.


    Lange Rede, kurzer Sinn: Bei solch einem Projekt muss man beachten:

    1. Den Standort sehr gut auswählen und vorher bestenfalls mehrfach begehen/bewerten
    2. ausschließen, dass andere Völker, die in Konkurrenz stehen könnten vor Ort sind ODER einen Standort wählen, bei dem eine direkte Konkurrenz minimiert ist (meist nicht die selbe Gattung v.a.! Aber auch nicht andere als sehr dominant geltende Arten)
    3. trotz Punkt 2: Lasius niger und div. defensive Lasius-Arten (z.B. Lasius flavus, Lasius myops, ...) kommen häufig in direkter Nachbarschaft vor. Die Nester können z.B. auch direkt unter dem selben Stein sein, sind aber voreinander verschlossen
    4. Je kleiner das Volk, desto geringer die Überlebenschance. Gynen allein haben beinahe keine Chance.


    Hoffe das hilft dir bei der Bewertung.

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    2 Mal editiert, zuletzt von ice_trey ()

  • Hallo ice_trey,


    ja, vielen Dank für die ausführliche Antwort und deine Einblicke. Das zeigt mir noch einige Punkte auf an die ich noch gar nicht gedacht habe.


    Vermutlich werde ich mein Vorhaben weiter vor mir herschieben. Einerseits weil ich doch auch an meiner Kolonie hänge. Es ist meine erste (und bisher auch einzige), selbstgefangene Königin. Und auch der erste wirklich gelungene Gründungsversuch bei mir.

    Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht, dass andere Arten unter der Aussetzung leiden. Eine verzwickte Lage.


    Aktuell habe ich aber auf Grund meiner Lebenssituation schon die Möglichkeit die große Kolonie weiter zu halten und es geht ihnen sicherlich auch in Rahmen dieser "Gefangenschaft" ganz gut. Leider habe ich aber das Interesse fast komplett verloren und so ist es halt wirklich fast nur noch Haltung und kein großes Beobachten mehr. Dies ist der Punkt, welcher mich am Meisten stört.


    Seit 3 Jahren habe ich im Sommer auch Geschlechtstiere in der Kolonie, leider klappt es aber nicht diese ausfliegen zu lassen. Irgendwie verpasse ich den richtigen Zeitpunkt oder es stört sie etwas vor dem Abflug. Es sind dann halt leider "verlorene" Ameisen. Auch wenn die Chancen würden sie abfliegen auch nur sehr, sehr gering wären.


    Aber durch die Haltung und Entwicklung dieser Kolonie habe ich nun wirklich viel dazu gelernt und bin auch um einiges entspannter in der Haltung geworden. Was habe ich mir früher immer für Gedanken gemacht über Futter, Nest oder Aktivität der Kolonie.

  • Eine Formica neben einer anderen Formica zu platzieren wäre - fast egal welche Arten - jedoch Auslöser eines Kriegszustands und würde auf Dauer vermutlich zur Auslöschung einer der Kolonien führen. Wir haben solche Fälle selbst bei vorheriger, eingehender Prüfung leider gehabt, dass doch irgendwo eine ähnliche Art versteckt war.

    Sorry, da hat ein Satz mittendrin aufgehört, mein Fehler. Anbei als Zitat.




    ja, vielen Dank für die ausführliche Antwort und deine Einblicke. Das zeigt mir noch einige Punkte auf an die ich noch gar nicht gedacht habe.

    Kein Thema.



    Vermutlich werde ich mein Vorhaben weiter vor mir herschieben. Einerseits weil ich doch auch an meiner Kolonie hänge. Es ist meine erste (und bisher auch einzige), selbstgefangene Königin. Und auch der erste wirklich gelungene Gründungsversuch bei mir.

    Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht, dass andere Arten unter der Aussetzung leiden. Eine verzwickte Lage.


    Aktuell habe ich aber auf Grund meiner Lebenssituation schon die Möglichkeit die große Kolonie weiter zu halten und es geht ihnen sicherlich auch in Rahmen dieser "Gefangenschaft" ganz gut. Leider habe ich aber das Interesse fast komplett verloren und so ist es halt wirklich fast nur noch Haltung und kein großes Beobachten mehr. Dies ist der Punkt, welcher mich am Meisten stört.

    Effektiv muss man auch sagen, dass - bei allen Rekorden - viele Königinnen nicht das "Methusalem-Alter" erreichen, sondern eher nach wenigen Jahren sterben, denn nach über 20. Bei einer gut gehaltenen Lasius niger kann man aber schon auch 10 Jahre ansetzen.


    Ich finde es gut, dass du dir daher Gedanken zur Zukunft der Kolonie machst und dir das auch selbst eingestehst, dass sich dein Interesse verändert hat. Effektiv ist es leider halt so, dass ein Aussetzen mit den genannten Schwierigkeiten verbunden ist. V.a. ist Lasius niger auch sehr dominant und recht territorial. Mein Rat wäre, spontan, die Kolonie weiter zu halten im besten Wissen und Gewissen, solange es für dich möglich ist. Und falls es absehbar ist, dass das gar nicht möglich ist, sie zu verschenken.


    Seit 3 Jahren habe ich im Sommer auch Geschlechtstiere in der Kolonie, leider klappt es aber nicht diese ausfliegen zu lassen. Irgendwie verpasse ich den richtigen Zeitpunkt oder es stört sie etwas vor dem Abflug. Es sind dann halt leider "verlorene" Ameisen. Auch wenn die Chancen würden sie abfliegen auch nur sehr, sehr gering wären.


    Aber durch die Haltung und Entwicklung dieser Kolonie habe ich nun wirklich viel dazu gelernt und bin auch um einiges entspannter in der Haltung geworden. Was habe ich mir früher immer für Gedanken gemacht über Futter, Nest oder Aktivität der Kolonie.

    Dazu vielleicht folgender Rat: Die Schwarmflüge laufen - soweit man weiß - etwa so ab, dass bereits wochenlang vor dem Schwarmflügen v.a. die Männchen (diese drängen direkt an die Nestausgänge) wahnsinnig viele Pheromone in die Luft abgeben. Da Ameisen da scheinbar selbst einzelne Moleküle wittern können, können auch weit entfernte Kolonien bei entsprechender Sättigung diese wahrnehmen. Passen Sättigung und Witterungsbedingungen zusammen, starten die Schwarmflüge synchron - meist wieder zuerst über die Männchen. So in etwa erklärt man sich das - vereinfacht.


    Wenn deine Kolonie nun keine Möglichkeit hat, dieses Verhalten zu leben, dann verpassen sie ihre Chancen. Sie müssen - z.B. durch offenen Deckel/geöffnete Fenster/Außenstandort die Pheromone anderer Kolonien bestenfalls schon vorab wittern können. Selbst dann haben sie vermutlich schlechtere Karten als die Kolonien in der Natur, v.a. wenn sie eben drinnen stehen, weil sie nicht so viele Duftstoffe erreichen. So passiert es dann eben regelmäßig, dass die Geschlechtstiere entweder gar nichts machen oder irgendwann einfach wild durch das Formicarium rennen, aber auch nicht so wirklich starten wollen. Ggf. läuft es besser, wenn du sie irgendwie "der Außenwelt aussetzt", wenigstens in den typischen Zeiten im Sommer ab Mitte Juni.


    Bei einem passenden Standort muss man natürlich Sonneneinstrahlung trotzdem zwingend vermeiden!

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