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Treiber-Ameisen sind gefürchtete Jäger: Zu Zehntausenden durchpflügen sie das Unterholz im Regenwald und fressen fast alles, was ihnen zwischen die Kiefer kommt. Doch die Raubzüge bringen nicht nur Tod und Zerstörung - Hunderte Tierarten sind als Schlachtenbummler dabei und leben prächtig davon.
Erst ist es nur ein fernes Rauschen, das durch den Regenwald getragen wird, dann kommt das Geräusch langsam näher und versetzt Vögel und Insekten gleichermaßen in Aufruhr. Verursacht wird es von unzähligen Beinchen auf dem trockenen Waldboden: Treiber-Ameisen der Art Eciton burchellii sind auf Raubzug.
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Die Treiber-Ameisen spielen eine Schlüsselrolle im tropischen Regenwald Mittel- und Südamerikas: Ihre Raubzüge gleichen einem Neustart für die lokale Artzusammensetzung. Zahlreiche Nischen werden auf einen Schlag frei und können von jungen Insektenvölkern oder anderen Arten neu besetzt werden. Wie Biologen jetzt herausgefunden haben, bilden Treiber-Ameisen auch die Grundlage für eines der größten Bündnisse zwischen verschiedenen Arten weltweit: "Wir haben 557 unterschiedliche Spezies gezählt, die in der Gesellschaft dieser einen Treiber-Ameisenart gefunden wurden", sagt Ameisenforscherin Stefanie Berghoff. "Mehr als 300 davon brauchen Eciton burchellii wahrscheinlich zum Überleben, zumindest teilweise."
Berghoff gehörte zu dem Team, das dieses Ergebnis im Fachmagazin "Insectes Sociaux" veröffentlicht hat. Die Langzeitstudie ist eine Art Lebenswerk des US-Wissenschaftlers Carl Rettenmeyer, der 2009 nach 55 Jahren aktiver Feldforschung verstarb. Auch Berghoff selbst war viele Male im tropischen Regenwald unterwegs, um die Treiber-Ameisen zu beobachten.Zahlreiche Raubzüge der Tiere hat sie hautnah miterlebt - eine spektakuläre Erfahrung: "Wenn man ganz ruhig stehen bleibt, fließt die Welle aus Ameisen einfach um einen herum." Fühlen sich die Krabbler gestört, beißen sie auch schon mal zu. Das sei zwar unangenehm, aber nicht weiter schlimm. Allerdings: "Ist der Kiefer der Soldatinnen einmal geschlossen, lässt er sich kaum noch öffnen."
Die Ameisen können sogar kleine Wirbeltiere wie etwa Frösche töten. "Fressen können sie sie aber nicht", erklärt Berghoff. "Ihre Mundwerkzeuge eignen sich nicht zum Schneiden." Die Kadaver sind dagegen ein gefundenes Fressen für andere Tiere.
Die Nutznießer lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
- Mitfresser, die von den Raubzügen abhängen - etwa die hochspezialisierten Ameisenvögel und Opportunisten wie Schmetterlinge, die zufällig vorbeikommen und sich über den Vogelkot hermachen.
- Mitläufer wie etwa parasitäre Wespen, die mit Hilfe der Ameisen ihren Wirt finden, oder auch Milben, die auf ihnen reiten.
- Mitbewohner wie Käfer, Fliegen oder Silberfische, die mutig genug sind, sich unter eine halbe Million beißender und stechender Ameisen zu mischen. Sie leben getarnt im Ameisennest, dem sogenannten Biwak, und fressen Reste und Abfälle.
"Diese Tiere haben es geschafft", meint Berghoff. "Sie leben gut versorgt und sicher." Kein Tier im Regenwald würde es wagen, ein Biwak anzugreifen, das allein aus Ameisenleibern besteht. Die Tiere haken sich an ihren Füßen zusammen und formen so eine riesige wimmelnde Kugel, die zum Beispiel in einem hohlen Baum hängen kann.
Während der jahrzehntelangen Feldarbeit haben Berghoff und Rettenmeyer Proben aus 1200 Ameisenkolonien gesammelt. Sie haben Fliegen und Schmetterlinge mit Netzen gefangen, mitlaufende Käfer durch Rohre eingesaugt und Ameisen in ihrem Nest mit Äther betäubt, um die Untermieter heraus zu sammeln.
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Wenn die Flächen weiter schrumpfen, sind die Ameisen in ihrem Bestand bedroht - und mit ihnen mindestens 29 Vogelarten. Die Langzeitstudie von Berghoff und Rettenmeyer zeigt einmal mehr, wie fragil das Ökosystem Regenwald ist: Das Aussterben einer einzigen Art könnte das ganze System wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lassen.