http://www.spiegel.de/wissensc…tur/0,1518,825588,00.html
"Impfungen gibt es offenbar auch unter Ameisen: Ganze Kolonien
schützen sich vor Pilzbefall, indem sich die Insekten gegenseitig
gezielt anstecken. Der Ameisenstaat verhält sich damit wie ein
Superorganismus mit eigenem Immunsystem.
Wer einen Menschen mit Pilzbefall entdeckt, käme vermutlich kaum auf
die Idee, ihn zu putzen und zu lecken. Wegameisen haben da keine
Hemmungen, ganz im Gegenteil: Sie suchen offenbar die intensive Nähe zu
infizierten Artgenossen, um sich selbst vor einer Ansteckung mit dem
potentiell tödlichen Pilz zu schützen.
Dadurch kommen die Tiere ebenfalls mit dem Pilz in Kontakt - aber nur in kleinen, nicht tödlichen Mengen, wie Forscher jetzt im Fachmagazin "PloS Biology"
berichten. Das Immunsystem der Ameisen reagiere darauf wie auf eine
Schutzimpfung: Es steigere die Produktion von Abwehrstoffen und
verhindere so einen massiveren Pilzbefall.
"Die Mitglieder des Ameisenstaats verhalten sich in vieler Hinsicht
wie ein Superorganismus, ähnlich den einzelnen Zellen eines einzigen
Körpers", schreiben Matthias Konrad vom österreichischen Institut für
Wissenschaft und Technik in Klosterneuburg und seine Kollegen aus
Regensburg und Neuherberg in Deutschland. Auch gegenüber Infektionen
durch Bakterien,
Pilze oder andere Krankheitserreger zeigen Ameisenkolonien eine
kollektive Reaktion: Werden einige Tiere infiziert, steigt die
Abwehrkraft der anderen gegen den Erreger deutlich an.
Wie diese soziale Immunisierung bei Wegameisen zustande kommt, haben
die Forscher jetzt bei der Infektion mit dem parasitischen Pilz
Metarhizium anisopliae erstmals genauer aufgeklärt. Die Sporen dieses
Pilzes sitzen zunächst ein bis zwei Tage außen auf den Ameisen. Dann
bilden sie einen Ausläufer, der sich durch den Panzer bohrt. Einmal im
Körperinneren angelangt, vermehrt sich der Pilz und tötet die Ameise.
Kein Alarmsignal oder Schutzstoff
In mehreren Versuchen haben die Wissenschaftler nach eigenen Angaben
nachgewiesen, dass die gesunden Ameisen keine schützenden Abwehrstoffe
von den erkrankten Tieren erhalten, wie es bei einigen bakteriellen Infektionen im Ameisenstaat der Fall ist. Die Abwehr der gesunden Koloniemitglieder werde auch nicht durch Duftsignale oder andere chemische Botenstoffe aktiviert.
Stattdessen löst allein der direkte Kontakt der noch gesunden Ameisen
mit dem Erreger die Schutzwirkung aus, schreiben Konrad und seine
Kollegen. Da der Pilz in geringen Dosen nicht tödlich sei, habe das
gegenseitige Putzen nur eine leichte Infektion bei den gesunden Tieren
zur Folge. Dieser Erstkontakt mit dem Erreger wappne ihr Immunsystem
gegen eine nächste, schwerere Ansteckung mit dem Pilz. Denn dadurch
würden bestimmte Immungene aktiviert, die spezifische Abwehrmittel gegen
Pilze produzierten.
Nach Ansicht der Wissenschaftler lässt sich die Schutzstrategie der
Ameisen mit den ersten Versuchen des Menschen vergleichen, sich durch
Impfungen vor den Pocken zu schützen. Damals verabreichten Ärzte ihren
Patienten kleine, stark verdünnte Mengen des Pockenvirus und sorgten so
für eine aktive Immunisierung.
"Noch ist unklar, ob diese soziale Immunisierung bei den Ameisen
absichtlich erfolgt oder aber eher ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt
ihres sozialen Kontakts ist", so die Forscher. Es sei aber auffallend,
dass die vom Pilz befallenen Ameisen von besonders vielen Artgenossen
intensiv geputzt würden. Das deute darauf hin, dass es sich hier sehr
wohl um eine aktive Anpassung an die Bedrohung durch parasitische Pilze
handele."