Zitat
Arbeiterinnen greifen an oder "erschrecken sich" sichtbar, wenn sie von einer Artgenossin berührt werden. Sehr gut sichtbar durch die Größe bei Camponotus ligniperdus und C. herculeanus, aber auch andere Arten wie Lasius niger und Myrmica rubra zeigen diesen Perma-Stress.
Oha. Dann scheine ich bereits ein erhebliches Platzproblem zu haben. Denn dieses Verhalten beobachte ich bei meinen Camponotus ligniperdus diese Saison schon seit einer ganzen Weile. Ob sie sich tatsächlich furchtbar erschrecken ist für mich schwer zu deuten. Auf jeden Fall verhält es sich so, dass in dem Moment, in dem eine Arbeiterinnen eine andere von hinten mit den Fühlern berührt (wohlbemerkt ist das nur so, wenn sie von hinten angeschlichen kommt) diese sich relativ hastig umdreht. Dieses Verhalten empfand ich bisher als völlig normal, da ja auch nichts weiter passiert, nachdem sie sich dann kurz abgetastet haben.
In den Jahren davor habe ich das nicht beobachtet, was in erster Linie daran lag, dass sich die Tiere seltener in meinem Formicarium begegneten. Ich habe sie in meinem 120x50 Becken seit die Gyne inklusive 8 Arbeiterinnen hier eingetrudelt ist. Inzwischen sind es grob geschätzt 300. (jaja, die Anzahl...Völker ab einer gewissen Anzahl wirklich zu zählen halte ich ohnehin für einen Mythos, das kann vielleicht der Rainman mit Zahnstochern, aber Normalsterbliche können höchstens mehr oder weniger realistisch schätzen. Und wie realistisch solche Schätzungen sind...nun ja, anderes Thema).
Subjektiv hatte ich bisher stets den Eindruck, dass die Beckengröße ausreichend ist (anhand von Außenaktivität, Ausbruchsversuchen etc.). Wenn dieses „erschrockene“ Verhalten nun aber eine Hinweis darauf sein sollte, dass dem nicht so ist, bringt mich das in ein schweres Dilemma. Das Volk wird weiter wachsen (wenn nichts dazwischen kommt). Nächstes Jahr werde ich eine Bohrung vornehmen lassen und die Arena um ein weiteres Becken erweitern, das Jahr drauf wahrscheinlich um ein zweites. Schlauchgänge werde ich dabei auch einige legen. Dann ist aber definitiv Schluss, mehr gibt mein „Ameisenzimmer“ nicht her. Was mache ich denn dann, wenn der Spielraum ausgereizt ist? Ameisen dezimieren? Auswildern? Einem städtischen Zoo vermachen? Ich habe natürlich wenig Interesse daran, dass meine Kleinen irgendwann an Herzinfarkten draufgehen oder die Gyne zu Tode putzen.
Hier kommt wieder hoch, was mir seit jeher dunkel als Ahnung im Kopf umhergeht: ich kann meinen Schützlingen überhaupt nicht bieten, was sie in freier Natur vorfinden bzw. „benötigen“. Soweit ich informiert bin bevölkert eine ältere/größere Camponotus ligniperdus Kolonie ein riesiges Areal mit 10 oder mehr bewirtschafteten Bäumen. Das ist innerhalb der eigenen vier Wände wohl schwer zu realisieren. Ergo müsste die logische Schlussfolgerung sein, dass die Haltung eines solchen Volkes mal einfach gar nicht möglich ist, man also die Finger davon lassen sollte. Und so würde es sich auch bei zig anderen Haltern verhalten, denn meinen Luxus seinen Ameisen ein ganzes (wenn auch nicht sonderlich großes) Zimmer abtreten zu können wird bei weitem nicht jeder haben. Die Gattung spielt dabei nur zweitrangig eine Rolle, denn mein relativ großes Becken wäre dann wahrscheinlich selbst für eine Temnothorax nylanderi nur gerade so ausreichend.
Insofern lässt sich der post dahin gehend interpretieren, dass die Ameisenhaltung per se genauso Tierquälerei ist wie die Haltung jedes x-beliebigen anderen „Wild“tieres. Und das wäre eine sehr niederschmetternde Erkenntnis, denn auf die Ameisenhaltung bin ich nach langen Überlegungen gestoßen, welches interessante Tier sich zu Hause halten ließe ohne es zu sehr in seinen natürlichen Gewohnheiten und Bedürfnissen einzuschränken.
Den Händlern zu unterstellen, sie würden diesbezüglich Gerüchte in die Welt setzen halte ich für reine Spekulation. Ohne mich jetzt schützend vor diese Leute stellen zu wollen - ich weiß was der z.B. Antstore für ein Fläschchen Spülmittel verlangt und was er sonst noch für dubioses Zeug wie Proteinjellys o.ä. unters Volk bringen möchte - Starter-Sets mögen nicht immer besonders sinnvoll sein und sind höchstens eine vorübergehende Lösung. Für die Gründungsphase und ein wenig darüber hinaus sollten sie aber adäquat sein und weder reine Geldmacherei noch abträglich für die Entwicklung des jungen Volkes. Später bieten sich diese Becken auch als Zusatzbecken an. Und das Nest muss ohnehin mit seinen Aufgaben wachsen.
Die Diskrepanz der beiden Positionen (Sahal, erfahrener Halter, bietet selbst Gründerkolonien lieber eine große Arena an – Phil, ebenfalls erfahrener Halter, bietet lieber gar keine an) verunsichert mich ein wenig. Liegt die Wahrheit mal wieder irgendwo in der Mitte? Oder sollte ich mir nun vielleicht doch lieber eine Vogelspinne zulegen, die den ganzen Tag in der Ecke hockt, da sie in freier Wildbahn ohnehin nichts anderes treibt?
Ich mache das ganze ja auch nicht erst seit gestern, bin mir aber bewusst, dass wir selbst über einheimische Gattungen und ihr Verhalten höchstens einen winzigen Bruchteil wissen, egal wie viel wir forschen, beobachten, lesen und austauschen. Doch ganz naiv aus dem Bauch heraus macht es in meinen Augen wenig Unterschied, ob man einer Gründerkolonie ein Mini-Becken zur Verfügung stellt, in der die Laufwege zum Futter nur wenige Zentimeter betragen oder einem mehrere Hundert oder Tausend Imagos starken Volk mehrere Becken mit zwei, sechs oder meinetwegen zehn Metern Schlauchgängen anbietet, wo sie, relativieren wir mal die Volksstärke, ihre Nahrung ein paar Krabbelschritte weiter schleppen müssen.
Die Diskussion um die Arenagröße ist ja nun tatsächlich nicht neu. Jedoch wirklich befriedigende Antworten auf die Frage wie groß die Arena denn nun sein müsste, habe ich bisher nicht gefunden. Weder in diesem, noch in anderen Halterforen. Meistens heißt es dann, das müsse man selber entscheiden, das ist Ermessensache oder aber: mach einfach die Klüsen auf, du siehst doch selber, was in deinem Formi los ist. Andernorts versuchen Leute irgendwelche mathematischen Formeln zu entwickeln (Individuenanzahl+Gynengröße:durch Buchstabenanzahl der Gattungsbezeichnung=Arena in cm oder so was in der Art), die daraufhin von anderen Haltern sofort wieder in der Luft zerrissen werden.
Im Endeffekt bleibt dann irgendwo doch eine gewisse Ratlosigkeit. Und eine Verfahrensweise, die gemeinhin als Haltungserfahrung deklariert wird.
So, das waren kurz und knapp meine Gedanken zu den Themen „Freilandhaltung oder Legebatterien? – ein Dilemma der Ameisenfreunde“ und „Wo lege ich meinen Kleinen den Mehlwurm hin?“.