Hola,
Andyxus:
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Fakt ist wohl: Ameisen sind wie viele Hautflügler eine kollektive Intelligenz. Die einzelne Ameise ist "dumm".
Etwas flach formuliert, denn jede Ameise scheint das gesamte genetische Wissen der Art, zumindest aber Ihrer Kaste, zu besitzen. So konnte und kann immer wieder beobachtet werden, dass jede Ameise jeden Job übernehmen kann. Bei den noch Ovariolen besitzenden Arbeiterinnen kann sich eine Arbeiterin in einem entweiselten Volk gar als "Gyne" aufspielen und "königliche" Futtersekrete erbetteln, die eine Eiablage fördern/ermöglichen... es reicht auch schon teilweise, wenn einem Volk zu viele Arbeiterinnen zugesetzt und die profertilen Futtersekrete nicht verbraucht werden. Die Arbeiterinnen ratsen durch diesen Überschuß in ihrem Wahn "Gyne" ein und treten in direkte Futterkonkurrenz zu ihrer Gyne.
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Wo aber sitzt das Zentrum, das diese immer wieder neu programmiert? Gibt es vielleicht doch irgendwo einen "Superserver", eine Zentrale, bzw. mehrere Schaltstellen?
Dieses Modell muss wohl vergeblich gesucht werden, denn keine Ameise riecht nach "Ich bin die, die Ordnung in das Chaos bringt, Ich bin die Myrmecoborg"
Der Ameisenstaat ist ein selbstregulierendes, interaktives System aus Reizen, Schwellwerten und Reaktionen!
Beispiel, sehr allgemein und grob formuliert:
die Larven betteln um Protein, die Brutpflegerinnen erhalten den Reiz "Protein verfüttern". Sind die Kröpfe und Drüsen leer, die Hämolymphe frei von Rohstoffen für die Drüsen... dann heisst der Reiz: bettel andere Ameisen an! Diese Reizkette pflanzt sich fort, bis eine Arbeiterin aus dem Aussendienst mit leerem Kropf angebettelt wird... und hier heisst die Reaktion: ab nach draussen, Fliegen köpfen! Je stärker der Reiz "Hunger" in einem Volk, desto eher werden die Arbeiterinnen furagieren, und desto eher wird auch eine Nicht-Aussendienst-Arbeiterinn in den Aussendienst gehen.
Hat diese Arbeiterin nun eine Futterquelle gefunden, verteilt sie den Reiz "ich habe was, folgt mir!" (bei rekrutierenden Arten) oder auch "Helft mir erbeuten" (bei kollektiv erbeutenden Arten).
Stößt sie auf Probleme, verströmt sie den Reiz: PROBLEM, GEFAHR!
Und nun, um es nicht einfacher zu gestalten, kommen nochmals die Schwellwerte ins Spiel:
PROBLEM, GEFAHR heisst jetzt noch lange nicht, das alle Ameisen zur Kampfstätte flitzen oder stiften gehen... ganz im Gegenteil!
Je nach Unterkaste, Entfernung, Pheromonmenge, Pheromonalter, und ja, auch nach Stimmung der Arbeiterin, fallen die Reaktionen unterschiedlich aus!!!
Flucht, Deckung, Neugierde, Obacht, Aufregung oder Angriff können die Reaktion auf ein und dieselbe Situation/Pheromon-Blume sein.
Und Stimmung heisst nicht "OOch, kein Bock, ich geh Larven ärgern". Stimmung heisst hier u.a.: vorhandene Energie, vorhergehende Reize, Alter, Erfahrung und Kropffüllung.
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Ich kann es nicht belegen, sondern nur aus meinen (subjektiven)Beobachtungen schließen - ich beobachte aber oft die Unterschiedlichkeit der einzelnen Individuen. Es wäre übertrieben von "Persönlichkeit" zu sprechen, dennoch muss es gewisse Hierarchien unter den Ameisen geben, d.h., dass manche Tiere dominantere Geruchsstoffe produzieren als andere.
Ein interessanter Ansatz, aber wie hast Du die einzelnen Individuen dauerhaft markiert, um ihre Dominanz zu erkennen? Welche Situationen liegen Deiner Beobachtung zu Grunde???
"Dominant" wird immer die Genossin sein, welche den passenden Reiz an die passende Genossin abgibt. Die dominanteste Ameise kann sich den Hintern wund stinken, wenn sie im falschen Umfeld sitzt... solange ein Schwellwert nicht erreicht ist. Die zentrale Koordination einer Gruppen-Handlung jedoch scheint (abgesehen von bestimmten Rekrutierungsverhalten) nicht wahrscheinlich.
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Bei Arten, die kastenbildend sind wird es noch komplizierter.
Nahezu ALLE Ameisen bilden streng genommen Kasten aus bzw unterliegen dem Kastensystem.
Unterkasten, falls Du diese meinst, machen das System keinesfalls komplizierter, sonder diese spiegeln einfach nur die Aufgabenteilung einer jeden Art wieder, halt morphologisch Spezialisiert und somit sichtbar! Separierst Du eine Horde Soldaten und gibst diesen eine handvoll Larven hinzu, versuchen die Soldaten den Staat neu zu definieren und die Larven zu versorgen (auch wenn es der Körperbau nicht immer zulässt oder seltene artspezifische Besonderheiten dieses verhindern).
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Es ist unwahrscheinlich, dass Königin oder Brutpfleger ein Gesamtbild ihrer Kolonie, also den demographischen Daten haben.
Aber genau das ist der Fall!
Einige Beispiele, m.o.w. belegt:
-werden Pheidole-Völker solitär gehalten, bilden sie weniger Soldaten aus. Bekommen sie ein Volk in unmittelbarer (riechbarer) Umgebung hinzu, wird umgehend die Soldatenstärke auf Kampfniveau hochgeschraubt. NIcht in sinnloser und die Gesamtfitness schwächender Anzahl, sondern angepasst an die Situation.
-wird während eines Unglückes oder nach einem Kampf eine Unterkaste stark reduziert, versuchen die Völker diese bevorzugt zu ersetzen.
-zB Myrmecocystus (und sehr viele weitere Arten) zeigt sehr deutliche Verhaltensmuster unter anderem in Turnierkämpfen: sie WISSEN, ob ein artgleicher Gegner zahlenmäßig überlegen ist oder nicht! Weiterhin: riechen die Gegner schwächer als sie selbst, dann geht es zum Kampf, riechen sie überlegen, dann wird der Rückzug angetreten... riechen sie aber etwa gleich stark, dann gibt es eine friedliche Koexixtenz mit klaren Territorialgrenzen.
Wie kann das? Niemand ist doch der "Leiter" der Kolonie, keine Ameise führt Buch über die Mitglieder, und keine Ameise meldet sich im Ameisenmeldeamt?
Die Antwort scheint einfach und logisch, und ist zumindest bei den Termiten belegt:
die Zusammensetzung, Stärke und der Zustand der Kolonie wird gerochen!
Bei Termiten wird anhand des Duftes das Volk bewertet, zB wie viele Soldaten in einem Volk sind, also wie stark der Anteil des Soldatenduftes ist.
Riecht es zu stark nach Soldaten, hemmt (oder fördert nicht) dieser Duft die Produktion von weiteren Soldaten!
Auf Ameisen bezogen: auch hier ist zumindest die Stärke einer Kolonie wohl im "Volksduft" verschlüsselt, und die Ameise kann so ihren "gesunden Mut" bewerten. Wahrscheinlich wird anhand dieses Systems auch die Verteilung der Unterkasten bewertet. Der Individualduft scheint somit auch eine "Berufskleidung" zu beinhalten.
Interaktivität auf ganzer Linie!
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das diese immer wieder neu programmiert?
Nehmen wir die genetischen Instinkte und Verhaltensmuster als Programmierung, dann werden die Programme nicht neu geschrieben, vielmehr enthalten die Programme sämtliche Parameter und "Lösungen" für die jeweilige Situation... ein Ergebnis der Evolution!
Überleben kann nur derjenige (besser das Gen), der ein passendes Verhaltensmuster parat hat.
Selbst Lernprozesse und Anpassungen innerhalb eines Volkes sind genetisch verankert! Diese System geht soweit, das zB Sklavenhalter die genetisch programmierten Lernprozesse der Sklavenarten und Sozialparasiten die genetischen Identifikationen zu ihrem Vorteil nutzen... interaktiv, denn die Sklaverhalter sind wiederum auf die Sklaven programmiert und Sozialparasiten können die Wirtsvölker nach einem genetisch programmierten Lernprozess auswählen.
Und wenn sich eine Art im Verhalten ändert (zB Übergang zur Polygynie, Änderung der Beute, des Nestbaus, der Umwelt), dann ist es nicht eine bestimmte Stelle, die diese "ergänzenden" Routinen schreibt, sondern eine schlichte und erschreckende Tatsache:
alles was wir heute an Organismen sehen, ist der traurige Überrest aus Fantastilliarden von Fehlversuchen durch Mutationen, Versuchen, Einsparungen und Spezialisierungen, der überlebt hat.
So ist eine Anpassung auf eine komplett neue Situation oftmals nur eine Mutation oder zwar vorhandene, aber stark unterdrückte oder keine Rolle spielende Verhaltensweise, die in ihrem angestammten Habitat oder bisherigen Umfeld keine oder wenig Überlebenschancen gehabt hätte und so nicht vererbt wurde/werden konnte. In einem neuen Habitat jedoch ist exakt diese Mutation oder Spielart äußerst erfolgreich und führt zu einem neuen Verhalten bzw nimmt eine zentrale Rolle ein.
Gerade diese nicht erkannten (und nicht zu erkennenden) Potentiale bilden nun auch die größte Gefahr bei der Artenverschleppung! Niemand kann abschätzen, ob eine Art nicht doch das Zeug zur Anpassung hat!