ReHola,
da fange ich doch gleich mit einem Zitat an:
Zitat
Mann, sogar mein Laptop wurde in China zusammen gebaut.
Au Backe, ein Laptop aus dem weltgrößten Copy-Shop, hoffentlich ein Original und keine Original-Kopie
Topic:
dass der Mensch nicht gerade nett mit seiner Umwelt umgeht ist unbestreitbar.
Aber können oder sollten wir es als Argument nehmen, weitere Sünden zu begehen?
Wenn auf der Straße ein Mensch zusammengeschlagen wird, trittst Du im Vorbeigehen noch mal kräftig rein mit den Worten: "Ah, die Sau blutet eh schon"?
Sicher nicht (oder hoffentlich nicht), eher wärst Du besorgt und würdest Dir Gedanken machen, was ihm nicht alles passiert sein kann und welch schwere Verletzungen er erlitten hat! Und ganz wichtig: genau Dein Tritt könnte ihn "versehentlich" töten!!
Aber wenn es um die Natur geht, die zweifelsfrei über dem Menschen steht, dann argumentiert man plötzlich nach dem Motto: "Pfft, hau den ausgebrannten Brennstab Deines Atom-MP3-Players einfach in den Wald, da liegt eh schon eine Plastiktuete. Ugh ugh ugh, nur nicht in meiner Nähe, man weiß ja nie!!"
Will sagen: jedes zusätzliche Risiko ist, wie die Bezeichnung schon sagt, ein zusätzliches Risiko! Und kannst Du mit Sicherheit sagen, dass nicht genau Dein gehaltenes Volk bei unachtsamer Haltung eine myrmekologische Epidemie auslöst?
Es gibt auch einen Unterschied zwischen durch globalen Warenverkehr verschleppte Arten und zu hobbiezwecken importierte Arten/Völker. So kommen doch fast nur Arten in den Handel, die niemals durch globalen Warenverkehr verschleppt werden können. Auch sind es im Warenverkehr großteils einzelne Exemplare, in der Haltung hingegen finden sich nicht selten geschlechtsreife Völker, die ohne Vorwarnung Geschlechtstiere streuen können.
Wer erinnert sich nicht an die im höchsten Maße leichtsinnige und verantwortungslose Haltungsform einer Crematogaster mit Kartonnest frei auf einem Baumstamm???
Verkaufte Camponotus sp. unter dem Wissen, dass Camponotus bereits Pestants hervorgebracht hat? Von Pheidole sp. ganz zu schweigen... mal ganz vernachlässigt, das niemand sagen kann, welche Arten sich denn nun tatsächlich in neuen Habitaten pestilenzartig ausbreiten können.
Argument "Winterruhe und die frieren eh ein".
Hier werden leider ein paar wichtige Tatsachen übersehen:
- die tiefen Wintertemperaturen sind theoretische Werte!
Bereits in wenigen Zentimetern Tiefe bleibt meist der Boden frostfrei, ab nicht einmal einem Meter permanent.
- an jeder Hauswand herrschen im Erdreich wesentlich höhere Temperaturen als in freier Wildbahn, besonders suedseitige Wände und zB Heizungskeller.
- durchaus wandern Ameisenvölker in kalten Zeiten einfach in wärmere Räume/Gebäude ab, ohne zwangsläufig dem Menschen ins Auge zu fallen. Alleine die Kanalisation bietet einen riesigen Zufluchtsort!
- Völker der Ameisen überstehen wahrlich lange Zeiten ohne externe Nahrung! Als Beispiele aus meiner Erfahrung: a) Camponotus ligniperdus ~ 8 Monate ohne Futter; b) Polyrhachis dives 4 Monate ohne Nahrung; c) Myrmecia pavida 3 Monate ohne Nahrung bzw. eine Made zwischendurch!
C. ligniperdus stagnierte komplett, Brut wurde nicht geschlacht, sehr wenige Tote.
P. dives zeigte erhöhte Sterblichkeit der Arbeiterinnen, Brut wurde geschlachtet, Volk bliebt aber stabil.
M. pavida stagnierte ähnlich C. ligniperdus , keine Toten, Brut bliebt erhalten, eine Notverpuppung.
Bei allen drei Arten legte die Gyne ca 1-3 Wochen nach Fütterung wieder fleißig Eier, die noch vorhandenen Larven wurden schnell aufgezogen. Es ist zu erwarten, dass solche Hungerzeiten durch kalte Temperaturen noch zu strecken sind!
Das ist natürlich alles sehr einfach und höchst unvollständig beschrieben, zeigt jedoch eins ganz deutlich:
der Mensch selbst ermöglicht Zuwanderern das Überleben bei uns.
Und vergessen wir eines nicht: nicht einmal uns Haltern wird es ins Auge fallen, wenn sich eine neue Ameisenart bei uns breit macht!!! Wie dann der breiten Bevölkerung?? Was haben wir bereits angerichtet??? Erschwerend kommt hinzu, dass nach der Invasionsbiologie eine eingeschleppte Art erst nach 30 Jahren richtig loslegt (Anpassungsvorgänge, Ausbreitung, Etablierung stabiler Populationen)... das gilt auch für Parasiten und Krankheitserreger!
Ob es nun spannend ist, was eingeschleppte Arten so alles anstellen?
Fuer mich ist es eher höchst besorgniserregend, keinesfalls jedoch spannend!!!
Ein Lehrstueck der Invasionsbiologie bildet die nordamerikanische Rindenlaus Cinara curvipes, die wohl mit unseren Weihnachtsbäumen eingeschleppt wurde. Seit Jahren breitet sie sich ungehemmt über unsere Nadelhölzer aus, schädigt diese jedoch wohl nicht primär. ABER: sie nervt durch auffällige und fette Tiere in Gärten und wird mit Gift bekämpft, welchem auch andere Insekten massenweise zum Opfer fallen... Sekundärschaden. Sie produziert Honigtau mit hohem Raffinose-Anteil, folglich können Imker den Waldhonig kaum mehr aus den Waben schleudern, da dieser kristalliert... Sekundärschaden. Verdrängung/Einschränkung angestammter Arten zu erwarten... Sekundärschaden. Befallene heimische Gehölze lassen sich kaum mehr als Weihnachtsbäume verkaufen (lacht nicht, wichtiger Wirtschaftszweig)... Sekundärschaden.
Diese Sekundärschäden ziehen wieder eine ganze Batterie weiterer Veränderungen nach sich, und so stellt sich die Invasion einer "harmlosen" neuen Art mal gar nicht als soooo spannend heraus.
Wie in jeder Diskussion zu diesem Thema:
es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, freier Handel und generelles Importverbot, Nutella und GZSZ!
Warum kann nicht einmal eine konstruktive Lösung in der Mitte gefunden werden??
Sind wir uns denn einig oder könnt Ihr zumindest nachvollziehen, dass die bedenkenlose Haltung von nichteinheimischen Arten ein Risiko darstellt????