Hallo Leute,
im Zuge meiner momentanen Job-suche bin ich über einen ehemaligen Arbeitskollegen an eine Firma geraten deren echten namen ich aus rechtlichen Gründen hier nicht nennen möchte.
Die Idee ist denkbar simpel: XY trifft sich mit einem Kunden (oder hier Klienten) erfasst in einem Gespräch seine finanziellen Wünsche und Ziele für die Zukunft, erfasst weiterhin seinen IST-zustand, also welche Verträge er hat usw. -soweit würde das dann mein Tätigkeitsbereich-
und dann schaut sich ein voll ausgebildeter Finanzberater auf dem Markt um, vergleicht alles miteinander und auch mit den bestehenden Verträgen und schlägt dem Kunden/Klienten dann ein voll ausgearbeitetes Konzept vor das zu seiner Situation passt.
Das Ganze ist für den Klienten kostenlos und finanziert sich über Provisionen.
Soweit klingt das ja alles schonmal ganz nett.
Um die ersten beiden Gespräche führen zu können soll man bei einer Reihe von kostenlosen Seminaren teilnehmen. Beim ersten Seminar war ich am Samstag. 4 Stunden in denen am Rande immer Mal davon erzählt wurde wieviel man verdienen kann (Es wurden Abrechnungen mit 12.000+€ im Monat gezeigt) Dazu der Appetizer keine Steuern mehr zu zahlen etc.
Am Anfang stand natürlich die Vorstellung der Kursteilnehmer. Bunt gemischt von "gestern 18 geworden" bis 40. An Berufen war auch viel Unterschiedliches zu bewundern. 1 Soldat der eine Tätigkeit für nach seiner Dienstzeit sucht, ein KFZ-Mechatroniker, Bürokauffrauen, Zahntechnikerinnen, Hausfrauen, Abiturabrecher, Studenten.
Jeder davon hatte die Firma "über Bekannte" kennen gelernt. An diesem Punkt machte ich mir die Notiz "Schneeballsystem ? "
Eine von den vier Seminarstunden ging dafür drauf den oben kurz geschilderten Weg nochmal in schön darzulegen. "Unternehmensvorstellung" nannte sich das, und das gehört auch zum Anfang des ersten Klientengesprächs das man dann führen soll. Danach ca. 30 Minuten allgemeine Verkaufstrategie, 1 Stunde für das Probeausfüllen der beiden Bögen für "Ziel-" und "Faktenanalyse" und die restliche Stunde wurde darauf verwandt Appetit auf das viele Geld zu machen, die Unternehmensstruktur anzusprechen, Appetit auf das viele Geld zu machen, anzusprechen wie es alten Bekannten erging die vor 15 Jahren einen anderen Weg eingeschlagen haben anstatt den des Finanzberaters, Appetit auf das viele Geld zu machen das man verdient, und zu guter letzt was man drauf antworten kann wenn einem jemand davon abrät bei XY anzufangen. Das die doch eh alle nur neidisch sind (auf das viele Geld das man verdient und darauf das man Spaß im Job hat).
Zwischendurch wurde die Unternehmensstruktur aufgezeichnet. Da gibts den Finanzassisten I (das sind wir die wir am Samstag da waren) und den Finanzassistent II (das wird man nach 2-3 erfolgreichen Abschlüssen.) Ersterer Erhält 50€ pro abgeschlossenem Vertrag + Umsatzbeteiligung, Zweiterer nur noch die 1,5-fache Umsatzbeteiligung. Beide Arbeiten für den Finanz-wasauchimmer, der wieder für wen, der wieder für wen. Generaldirektor etc etc.
Viele kleine Firmen innerhalb der großen Firma. Aufgemalt sah das dann aus wie eine Pyramide (Pyramidensystem ist übrigens ein anderes Wort für das Schneeallsystem).
Und natürlich zahlt man keine Steuern. Denn als "Interviewer" eröffnet man ein Gewerbe (sprich: Macht sich selbstständig) und kann ab diesem Zeitpunkt vom Handy übers Auto bis hin zum Essen im Restaurant alles vom Bruttolohn absetzen. Und wenn man genug absetzt zahlt man nicht nur keine Steuern, sondern bekommt auch noch Geld vom Staat zurück.
Nun, an diesem Punkt habe ich das Fragezeichen hinter "Schneeballsystem" durch ein Ausrufezeichen ersetzt. Später hat mir meine Führungskraft (da erinnert mich der Aufbau übrigens stark an die Dokus über Scientology) dann erklärt dass das natürlich keinesfalls das verbotene böse Schneeballsystem, sondern ein sogenannter Strukturvertieb ist. Im Strukturvertrieb hätte man im Gegensatz zum Schneeballsystem die Möglichkeit zum Aufstieg und dazu seinen "Anwerber" zu überholen wenn man hart genug arbeitet.
Nun... Alles in Allem kommt mir da spontan das Wort "Bauernfänger" in den Sinn. Oder auch das Wort "Scheinselbstständigkeit". Wenn reich werden SO EINFACH wäre, dann wäre jeder reich. Warum sollte eine Firma wie diese, einem Handwerker wie mir solche Unsummen zahlen, wenn es so viele arbeitslose Abiturienten etc. gibt.
Eine mögliche Antwort für mich ist: Weil Schulabbrecher, Handwerker, Hausfrauen etc. für DUMM gehalten werden. Man hat kein Geld möchte aber gern welches. Und natürlich möchte man so einen Riesenschlitten fahren wie den der vor der Tür stand und der fast größer war als mein Schlafzimmer.
Als ich Heim kam hatte ich jedenfalls das Bedürfnis zu duschen. Jede Faser meines überaus misstrauischen Körpers schreit "manipulative unseriöse Bauernfänger". Und mit rhetorischer Manipulation kenne ich mich aus. Auch da sind mir während des Seminars viele Punkte aufgefallen, die ich aber mal unter "Natürlich möchten die was verkaufen" verbucht habe. Würde ich nicht anders machen.
Naja, soweit meine Eindrücke des vergangenen Samstags. Die Frage an euch ist jetzt, ob jemand schon Erfahrungen mit einer Firme aus dieser Branche gemacht hat. Wenn ich übermisstrauisch bin lasse ich mich gern belehren, aber auch wenn nicht wüsste ich gern was ihr davon haltet.
mfg MortumAmoris