So, es gibt Neuigkeiten zum Thema. Da mir keine andere Emailadresse vorlag und ich nicht wusste, an wen bei den Grünen ich mich mit so einem Thema wenden kann, hatte ich einfach an die Haupt-Mailadresse info@gruene.de geschrieben und um etwas Aufklärung bzgl. des Themas "Handelsregularien und Verbote bzgl. Wildtieren" in ihrem Wahlprogrammentwurf gebeten. Tatsächlich, nach einer kleinen Erinnerung an meine schon vor Längerem geschriebenen erste Mail habe ich vor ein paar Tagen von "Grünes Dialogteam (dialog@gruene.de)" - mit Entschuldigung für die sehr lange Antwortzeit - entsprechend Rückantwort erhalten.
Anbei der Wortlaut. Ich erlaube mir im Anschluss, das aus meiner persönlichen Sicht zu kommentieren. Ich öffne auch den Thread wieder für eine sachliche, möglichst unemotionale und unpolitische Diskussion. Das ist natürlich eine Gratwanderung, denn einerseits geht es hier - wen wundert es auch bzgl. Tierschutz - explizit um den Wahlprogrammentwurf der Grünen und damit um Politik. Andererseits kann man das auch konstruktiv handhaben, hoffe ich.
Zitat von Bündnis 90 - die GrünenPersönliche Ansprache [...]Alles anzeigen
Für uns steht fest: Wildtiere gehören in die Wildnis, der Handel mit ihnen muss strenger reguliert, Importe von Wildfängen, die Trophäenjagd, ihr Handel auf Online-Portalen und Wildtierbörsen müssen ganz verboten werden.
Wir fordern:
- Positivlisten für Tierarten, die gehandelt und privat gehalten werden können.
- Das Ende gewerblicher Tierbörsen für Wildtiere und den Verkauf von Wildfängen über Tierbörsen.
- Keinen weiteren Verkauf und insbesondere Versand über Online-Portale.
- Das Tierschutzgesetz so zu konkretisieren, dass Qualzucht endlich der Vergangenheit angehört.
Näheres zu unserem Vorschlag finden Sie in unseren Anträgen "Wilderei und illegalen Artenhandel stoppen" und "Wilderei, illegalen und nicht nachhaltigen Artenhandel stoppen":
https://dserver.bundestag.de/btd/18/050/1805046.pdf
https://dserver.bundestag.de/btd/19/101/1910186.pdf
Zur im März 2021 vom Bundesamt für Naturschutz vorgestellten Studie „Strategien zur Reduktion der Nachfrage nach als Heimtiere gehaltenen Reptilien, Amphibien und kleinen Säugetieren“ erklärte Steffi Lemke, Sprecherin für Naturschutzpolitik:
„Diese Studie macht deutlich, das globale Arten-Aussterben wird durch den Handel mit Wildtieren in Deutschland befeuert. Es ist absurd: Obwohl viele Reptilien- und Amphibienarten in ihrer Heimat gefährdet sind, werden sie weiterhin nach Deutschland und Europa verkauft und hier gehandelt."
Zwischen 2014 bis 2018 importierte Deutschland beispielsweise insgesamt mehr als 1,3 Millionen lebende Reptilien aus aller Welt für den Heimtiermarkt, davon kamen über 350.000 aus China.
Zu oft hat die Bundesregierung weitergehende Regeln im Wildtier-Handel angekündigt. So auch im aktuell gültigen und vorherigen Koalitionsvertrag – passiert ist nichts. Es bleibt zu hoffen, dass nach diesen deutlichen Zahlen tatsächlich etwas passiert.
Es braucht ein Verbot von Wildtier-Importen und eine Positivliste, die nur den Handel mit Arten zulässt, die unter Berücksichtigung von Tier-, Natur- und Artenschutz, aber auch aus Gesundheits- und Sicherheitsaspekten unbedenklich sind. Die Bundesregierung muss den Wildtierhandel als Problem endlich erst nehmen – mit Blick auf die Naturvernichtung und auch die Verbreitung von Krankheiten.“
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit weiterhelfen.
Herzliche Grüße
[...]
Die Antwort ist leider ja etwas allgemein gehalten, da nicht explizit auf Insekten oder gar Ameisen eingegangen wird. Einerseits dürfte das daran liegen, dass der Wahlprogrammentwurf der Grünen erst gegen Mitte Juni abschließend diskutiert und dann überhaupt beschlossen wird. Andererseits liest man hier - wie schon von einigen Usern vorab vermutet - einen starken Fokus auf Wirbeltiere heraus, also z.B. diverse Reptilien, Amphibien und Kleintiere, die allgemein einen anderen Stand beim Menschen haben als Insekten und Spinnentiere.
Zudem sind Wahlprogramme natürlich erstmal stark gekürzt, damit der Bürger sie versteht und eine exakte und umfangreiche Ausarbeitung, um dann letztendlich Gesetze zu verabschieden, findet entsprechend überhaupt erst nach einer Regierungsbildung und ggf. Koalitionsverträgen statt und wird bekanntlich auch von Debatten innerhalb der Politik und Gesellschaft mitbestimmt.
Auch wenn ich mir eine explizitere Antwort gewünscht hätte, denke ich persönlich immer noch, dass privat gehaltene Insekten nicht wirklich im Fokus von Tierschützern, Verbänden und "grünen Parteien" stehen, da in entsprechenden Anträgen, Diskussionen etc. immer ein starker Fokus auf Wirbeltiere gelegt wird. Dennoch dürfte in Zeiten des Insektensterbens entsprechende Tierklasse ggf. Eingang in neue Gesetze finden, die Frage ist eben nur, wie und in welchem Umfang.
Daher ist die Antwort auch für uns interessant, da man hier einen Einblick bekommt, was u.a. auf die Terraristik im Allgemeinen zukommen könnte. Und das - leider - mMn auch nicht ganz zu Unrecht, wenn man mal weggeht von den sehr "nischigen" und in der Gesellschaft kaum bekannten Ameisenhaltern zur Terraristik im Allgemeinen, sowie deren Haltungs- und Handelspraktiken.
Die beiden verlinkten PDFs mit Anträgen zeigen recht genau, was von den Grünen gefordert wird. Daher lohnt sich eine Sichtung, da entsprechende Anträge sicher auch bei Beteiligung an einer Regierung wenigstens teilweise ins Regierungsprogramm oder Koalitionsverträge eingebracht würden. Ich habe mal einige mMn wichtige Punkte herausgepickt, denn es ist in den Anträgen immer wieder auch der Elfenbeinhandel, Wilderei usw. Thema, was für uns in dem Sinne keine Rolle spielt:
ZitatAlles anzeigenIn der Drucksache 18/5046 vom 2.6.2015 (Anm. der explizit auch Annalena Baerbock als Antragsstellerin an die Regierung enthält) heißt es unter anderem:
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– eine bundeseinheitliche Regelung für den Handel mit und die Haltung von exotischen Tieren zu verabschieden,
– gewerbliche Tierbörsen für Wildtiere sowie den Verkauf von Wildfängen über Tierbörsen zu untersagen,
– für alle anderen Arten von Tierbörsen verbindliche, tierschutzkonforme und im Vollzug handhabbare Regelungen zu treffen,
– sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, Importe von Wildfängen in die EU grundsätzlich zu verbieten und den Import von als Nachzucht falsch deklarierten Wildfängen nach Deutschland zu bekämpfen,
– sich auf EU-Ebene einzusetzen, dass der Handel und Besitz von Arten, die in ihrem Heimatland geschützt sind und illegal gefangen und exportiert wurden, auch in der EU strafbar wird (entsprechend dem Vorbild des „US Lacey Actes“),
– Positivlisten gemeinsam mit Tierschutz- und Halterverbänden zu erarbeiten und einzuführen, um den kommerziellen Handel, die Haltung und Zucht von Wildtieren auf die Arten zu beschränken, deren Haltung aus Tier-, Natur- und Artenschutzgründen, aber auch aus Gesundheits- und Sicherheitsaspekten, unbedenklich und dauerhaft zu leisten ist,
– in Zusammenarbeit mit den Ländern klare und bundesweit einheitliche Rahmenregelungen für die Haltung gefährlicher Wildtiere in Privathand im Sinne der Gefahrenabwehr zu schaffen,
[...]
In der Drucksache 19/10186 vom 15.05.2019 heißt es:
ZitatAlles anzeigenWir erleben nicht nur ein massives Insektensterben, sondern auch andere Tier- und Pflanzenarten sind zunehmend bedroht. Der im Mai veröffentlichte Bericht des IPBES zur Lage der Artenvielfalt verdeutlicht das Ausmaß der Bedrohung und nennt neben anderen Gefährdungsfaktoren auch die Ausbeutung von Wildtieren und Pflanzen als eine der Hauptursachen für den Rückgang der Biodiversität 1. Die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Arten werden immer länger und sind ein guter Anhaltspunkt dafür, wie es um das Überleben der einzelnen Art steht.
[...]
Die kommende CITES-Konferenz unterstreicht auch die zunehmende Bedrohung der Artenvielfalt durch den internationalen Heimtierhandel. 22 Anträge, v. a. zu Reptilien und Amphibien, aber auch zu asiatischen Ottern, Ornamentvogelspinnen und Kronenkranich, betreffen Arten, bei deren Gefährdung die Wildentnahmen für den Tierhandel eine Gefahr darstellen. Drei der Anträge zu exotischen Heimtierarten stammen aus der Feder der Bundesregierung. In vielen dieser Anträge zum Heimtierhandel spielen Deutschland und die EU als Absatzmarkt eine zentrale Rolle – selbst bei solchen Arten, die in ihren Heimatländern bereits streng geschützt sind. Eine neue Studie zum Handel mit Arten aus Sri Lanka zeigt die unrühmliche Rolle, die v. a. Deutschland wegen der Reptilienbörse Terraristika in Hamm (NRW) als Umschlagplatz spielt2. Organisiert wird dieser Handel zunehmend vorab über das Internet.
[...]
II. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
[...]
– sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, Importe von Wildfängen in die EU grundsätzlich zu verbieten und den Import von als Nachzucht falsch deklarierten Wildfängen nach Deutschland zu bekämpfen,
– Positivlisten gemeinsam mit Tierschutz- und Halterverbänden zu erarbeiten und
einzuführen, um den kommerziellen Handel, die Haltung und Zucht von Wildtieren auf die Arten zu beschränken, deren Haltung aus Tier-, Natur- und Artenschutzgründen, aber auch aus Gesundheits- und Sicherheitsaspekten, unbedenklich und dauerhaft zu leisten ist,[...]
- den Verkauf und Versand über Online-Portale entschieden abzulehnen und sich dafür einzusetzen, dass dies wirksam unterbunden wird. Dafür müssen Vollzugsbehörden auf Bundesebene personell aufgestockt werden, um eine bessere Überwachung des Online-Handels sicherzustellen,
Man liest wie schon gesagt heraus:, dass generell wieder starker Fokus auf Wirbeltiere gesetzt wird. Ein paar Punkte sind für uns aber durchaus sehr relevant:
- Eine bundeseinheitliche Regelung bzgl. des Handels und der Haltung exotischer Tiere würde natürlich jeden Halter exotischer Ameisenarten auch treffen, sofern Insekten dort explizit vermerkt wären
- Ameisen werden zwar eher selten auf Tierbörsen gehandelt und in der Summe ist deren Anteil im Vergleich zur restlichen Terraristik vernachlässigbar winzig, dennoch würde es den ein oder anderen Händler und Interessenten treffen
- Importe von Wildfängen sind natürlich ein riesen Thema für Ameisenhalter, da Nachzuchten bei den meisten Ameisenarten gar nicht möglich sind und fast alle Ameisenköniginnen Wildfänge sind
- Positivlisten wären ggf. ein Ansatzpunkt, den Handel mit bestimmten Tieren weiter zuzulassen. Dazu müsste man aber auch entsprechend Lobbyarbeit betreiben und darstellen, warum explizit die Ameisenhaltung für die Umwelt kaum bis keine Auswirkungen hat
- Verkauf und Versand über Online-Portale sei entschieden abzulehnen (auch für Insekten? Den Versand von Wirbeltieren mit der Post kann man mMn durchaus zu Recht kritisieren)
Fazit:
In der Summe bin ich leider nicht zu 100% schlau geworden, wie es sich denn nun mit Insekten oder gar Ameisen hält - denn in den Anträgen, die aber ja erstmal eine Diskussionsgrundlage und bei Weitem keinen Gesetzesentwurf darstellen, wird nicht klar ersichtlich, wie mit diesen umgegangen werden soll. Zudem darf man nicht vergessen, dass die breite Masse der Bevölkerung sich gar nicht darüber bewusst ist, dass es Insekten- bzw. explizit Ameisenhalter überhaupt gibt. Das zieht sich natürlich in die Politik hinein.
Einerseits liegt hier in allen Texten ein sehr starker Fokus auf - oftmals auch stark gefährdeten - Wirbeltieren, angefangen von Großtieren wie Elefanten oder Nashörner, hin zu Reptilien, Amphibien oder Kleintieren. Das verwundert auch nicht weiter, da sich in der Wissenschaft und selbst in Regierungen (siehe Großbritanniens neuen Gesetzentwurf zur Anerkennung von Empfindungsfähigkeit/Gefühlen von Wirbeltieren) die Erkenntnis durchsetzt, dass Wirbeltiere eben empfindungsfähig sind und somit auch Gefühle haben, sowie leiden können etc.pp.,
Andererseits sind Insekten und damit Ameisen aber eben keine Wirbeltiere und der Großteil der Wissenschaft geht auch davon aus, dass diese nicht im Sinne von Gefühlen "empfindungsfähig" sind. Dennoch gibt es ein paar Passus, die uns Ameisenhalter in diesen Anträgen betreffen könnten, wenn diese sehr allgemein formuliert werden und bei denen man wachsam verfolgen sollte, was da genau geplant wäre. Eine exakte Ausarbeitung hat zu diesem Zeitpunkt aber scheinbar eben noch nicht stattgefunden. Das eröffnet uns auch Möglichkeiten, bei Bedarf als Bürger an zukünftige Regierungen heranzutreten.
Man darf also weiterhin gespannt sein, zumal es von einem Wahlprogramm zu einem Gesetz ein langer, langer Weg ist. Die anderen großen Parteien haben in Bezug auf den Tierschutz oft wenig vorliegen, siehe deren Wahlprogramme (Reihenfolge der Parteien wie auf der verlinkten Homepage, die Wahlprogramme sind im Parteinamen verlinkt:)
- CDU/CSU haben ihr Wahlprogramm leider noch gar nicht veröffentlicht, wie es da mit Tieren und Tierrechten aussieht, wird man also sehen
- Bündnis 90 - Die Grünen haben wir hier ja rege in Debatte. Das Wahlprogramm liegt als Entwurf vor und wird Mitte Juni diskutiert und final entschieden. Hier sind für uns v.a. S. 29 "Tiere schützen und respektieren" sowie "Wildtierhandel an die Leine legen" relevant
- die SPD beschränkt sich in ihrem Wahlprogramm auf die landwirtschaftliche Tierhaltung und geht auf die private Tierhaltung oder Wildtiere, sofern ich es richtig gesehen habe, mit keinem Wort ein: , Punkt 3.15, S. 52
- die FDP nennt Wildtiere im Zusammenhang mit Zoonosen und wollen eine Registrierungspflicht dieser, S. 51. Was genau "Wildtiere" sind wird nicht präzisiert, vermutlich geht es hier aber auch v.a. um Wirbeltiere. Sie nennen Tiere des weiteren im Zusammenhang mit der Landwirtschaft (s. 69) und Jagd (S. 70), sowie zur Zulassung von Insekten als Nahrungsmittel (S. 70)
- Die AfD nennt Tiere ebenfalls im Zusammenhand mit Landwirtschaft, z.B. S. 195. Interessant für uns wird hier aber auf S. 196 ein Passus über invasive Pflanzen- und Tierarten:
"Schutz der heimischen Ökosysteme verbessern: Im Schlepptau des weltweiten Warenverkehrs dringen entlang der großen Fernhandelsstraßen und ausgehend von internationalen Häfen mit ihren großen Warenumschlagplätzen immer mehr gebietsfremde Arten in heimische Ökosysteme vor und stören das ökologische Gleichgewicht. Es zeigt sich, dass gebietsfremde Arten nicht nur negative Auswirkungen auf unsere hiesige Natur haben, sondern auch konkrete finanzielle und gesundheitliche Schäden verursachen. Wir müssen größere Anstrengungen unternehmen, um die Einschleppung invasiver Tier- und Pflanzenarten zu verhindern und ihre Ausbreitung einzudämmen. Eine invasive Eigenschaft ist als Entnahmegrund im Tierschutzgesetz zu verankern".
Da bisher keinerlei "offizielle" Listen zu invasiven Insekten vorliegen, weder vom Bundesamt für Naturschutz, noch von der AfD, Ameisen aber teilweise durchaus ein hohes Potential dazu haben (siehe auch Verschleppung von Ameisenarten in aller Welt), ist der Passus durchaus bemerkenswert für uns. Ob damit auch der Versand von Ameisen über den Globus und die damit einhergehenden potentiellen Probleme gemeint sind, kann ich nicht beurteilen. Da müsste man ggf. direkt bei der AfD anfragen.
- Die Linke nennt in ihrem Wahlprogrammentwurf auf S. 72: "Insekten müssen als wichtiger Teil des Ökosystems geschützt erhalten und die Biodiversität gefördert werden" und "Wildlebende Tiere müssen besser geschützt werden. DIE LINKE will Wilderei und illegalen Wildtierhandel bekämpfen. Die Haltung bestimmter Wildtierarten und die Dressur von Wildtieren in Zirkussen und Delfinarien wollen wir im Sinne des Tierwohls ebenso beenden wie den Handel mit Wildfängen auf gewerblichen Tierbörsen. Wir fordern einen Einfuhrstopp für Jagdtrophäen geschützter Arten."
Auch hier ist es eher allgemein, inwieweit ein "Insektenschutz" auch die Haltung und den Handel mit Ameisen beträfe, müsste man erfragen.