Hallo Cjay,
na dann herzlich Willkommen in der Community
Und erstmal ein Lob vorweg, dass ihr nicht einfach so Tiere anschafft, sondern du dich erstmal ausführlich informierst, selbst über "nur Insekten". Leider kenne ich viel zu viele Eltern, die auf das dauernde Drängen ihrer Kinder nachgeben und sich vermeintlich (!) einfach zu haltende Tiere holen - einfach mal so, weil das Kind es ja umbedingt so gerne möchte und doch so arg versprochen hat, sich um alles zu kümmern. Und dann... nach 6 Monaten ist dann das "super-artgerecht" einzeln gehaltene Kinderzimmer-Käfig-Kaninchen doch nicht mehr so toll, weil es sich überhaupt nicht anfassen lassen und eigentlich am Liebsten überhaupt nichts mit einem zu tun haben will. Schade, dass das auch im 21. Jahrhundert noch andauernd passiert, obwohl gute Informationsquellen nur ein paar Minuten entfernt sind. Daher begrüße ich es, wenn man YouTube und Konsorten leersaugt und lieber mehr fragt, als zu wenig.
Wie auch immer, zurück zu Ameisenthemen und zu deinen Fragen. Ich hoffe, du verzeihst mir lange Beiträge, denn ich bin berüchtigt dafür
Da aber auch andere Einsteiger solche Beiträge mitlesen, die ggf. weniger wissen als du, hole ich im Normalfall etwas weiter aus.
Mir war wichtig, etwas zu finden, was ich alternativ auch ohne die Kids gern weiterführen würde, sollte ihre Begeisterung abflachen.
Auch das ist ein löblicher Ansatz. Denn auch wenn es sich hier "nur" um Insekten handelt, kann man sie auch nicht einfach wieder aussetzen, wenn sie uninteressant werden. Das glaube ich aber fast nicht. Ich kenne persönlich Halter, deren Kinder auch Jahre später dann endlich eine "wirklich eigene!" Kolonie haben wollten, um die sie sich ganz allein kümmern dürfen und davor jahrelang gebannt bei den Eltern zugesehen und mitgeholfen haben. Wenn Eltern und Kinder die selbe Leidenschaft teilen, ist das sicher nicht verkehrt. Aber der Ansatz muss immer sein: Kinder sind nicht mündig - die Eltern sind also grundsätzlich für die Tierhaltung verantwortlich. Davon gehe ich hier aber aus.
Dabei habe ich dann auch gelernt, dass heimische Ameisen eine Winterruhe einlegen und von Oktober bis März - gerade in Hinblick auf meine Kids - "uninteressant" werden. Da ich die Begeisterung aber nun Stück für Stück aufbauen möchte (Formikarium gemeinsam aufbauen, Ameisen einziehen lassen, gemeinsam beobachten etc.), wäre es denkbar schade, wenn in 2 - 3 Monaten schon wieder, wenn auch temporär, alles vorbei wäre und wir erst ein gutes halbes Jahr später wieder auf Entdeckungsreise gehen könnten.
Das ist vollkommen nachvollziehbar. Wir haben schon fast August, spätestens im November gehen die Tiere in die Winterruhe und werden frühestens Februar wieder daraus entlassen. Das betrifft eigentlich alle europäischen Arten gleichermaßen, wenn auch in unterschiedlicher Abstufung, grob von Nord nach Süd.
Man kann auf zwei Wegen damit umgehen - entweder man verschiebt das Projekt ins nächste Jahr und steht startfertig, top informiert und mit getesteter Anlage in den Löchern für anschließende 6-7 Monate Ameisenspaß. Oder aber man muss zu Arten greifen, die eben keine Winterruhe benötigen. Diese muss man dann aber auch entsprechend betreuen und sich anpassen. Im Winter müssen solche Arten auf irgendeine Art beheizt werden, passiv oder aktiv. Ob das nun ein dauerhaft (!) warmes Zimmer ist, oder Utensilien wie eine Heizmatte etc., ist sehr individuell und kommt auf den eigenen Lebensstil und Vorlieben an.
"Zimmertemperatur" ist daher auch ein schwammiger Begriff, da das subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Wir müssen bei Ameisen aber harte Werte ansetzen, um sie in einem passenden Temperaturbereich zu halten. Heizt man die Wohnung im Winter also z.B. sowieso immer auf durchgehend 25°C, weil man das eben so mag und sonst friert, dann ist das für die Ameisen, je nach Art, auch oft schon ausreichend. Ist die Zimmertemperatur aber eher bei knapp 20°C, weil man es gar nicht so warm mag, ist das für viele Arten ohne Winterruhe schon eine zu niedrige Temperatur und man muss die Anlage beheizen. Arten ohne Winterruhe kommen schließlich aus warmen Ländern mit sehr milden bis nicht vorhandenen Wintern, entsprechend muss man diese Lebensbedingungen simulieren. Beides ist aber eben "Zimmertemperatur".
Auch an das Futter muss gedacht werden. Die meisten Ameisenarten benötigen Proteinnahrung in Form von Insekten für die Brutentwicklung - im Sommer ist das noch einfach, wenn man Fliegen o.ä. erlegt - da kommt das Futter quasi kostenlos ins Haus. Im Winter hingegen machen die sich rar, man müsste also ggf. auf Futterinsekten aus dem Zoofachhandel ausweichen. Und nebenher noch Heimchen/Grillen/Schaben/Fruchtfliegen o.ä. im Haus zu haben, diese ebenfalls zu versorgen, bedarfsgerecht zu töten etc., löst nicht gerade bei jedem Freudesprünge aus. Oder aber die Kinder finden diese Tiere dann auch toll (wer Regenwürmer sammelt, kann ggf. auch Grillen etwas abgewinnen!) und sind entsetzt, dass das dann Ameisenfutter werden soll. Auch das ist individuell verschieden, können wir nicht für dich beantworten...
Deshalb stellt sich mir die Frage, welche Ameisenart ihr mir empfehlen würdet, die eine schöne Größe zum Beobachten hat (6 - 8 mm?!), keine Winterruhe benötigt, aktiv und mit relativ wenig Aufwand (Zimmertemperatur) zufrieden zu stellen ist. Preislich sollte sie sich auch im Rahmen bewegen; noch ist nicht die Zeit für eine seltene, exotische Art ;).
Da kann ich dann schnell überleiten: Du wirst keine Art finden, die nicht exotisch ist und keine Winterrruhe benötigt. Exotisch sind alle Ameisenarten, die hierzulande nicht natürlich vorkommen. Also auch schon solche, die meinetwegen in Spanien oder Italien heimisch sind, auch wenn man "exotisch" gefühlt eher mit den Tropen verbindet. Aber ich lese heraus, dass es da eher um den Preis ging, was kein Problem sein sollte. Wirklich teuer sind auch nur sehr seltene Arten, die man einem Einsteiger nie anraten würde.
Um nun endlich langsam zu deiner Frage nach passenden Arten zu kommen, ist das nicht ganz so einfach, aber ich werde gleich ein bisschen Input geben. Die Art kannst schlussendlich nur du aussuchen, weswegen du dir einige Fragen beantworten solltest. Es gibt viele Vor- und Nachteile bzgl. der Art, die man sich aussucht.
Manche sind sehr groß (z.B. diverse Camponotus-Arten), diese benötigen aber auch lange, um sich zu entwickeln. Das kann schon öde werden, wenn man mal im ersten Jahr endlich 20 oder 30 Arbeiterinnen erreicht hat... Geduld ist in der Ameisenhaltung zwar leider immer nötig, aber ganz so will man es dann vielleicht doch nicht. Die Faustformel ist: Je größer die Art, desto länger benötigt deren Entwicklung, dafür sind sie beeindruckend anzusehen und leicht zu beobachten. Es macht natürlich schon etwas her, wenn man Ameisen hat, die 2cm lang werden, denn sowas sieht man hierzulande nicht. Aber im Normalfall wird es dann auch wirklich sehr lange dauern, bis man eine größere Kolonie hat und wirklich was los ist.
Dann geht es weiter zu Fragen, wie "Wie viel Platz kann ich eigentlich zur Verfügung stellen"? Manche Arten sind sehr platzintensiv, zumal, wenn die Kolonien ausreifen. Hier geht es weniger um die Größe der Ameisen selbst, als deren Koloniegrößen. Das kann artspezifisch von wenigen Dutzend Tieren (diverse Temnothorax species) bis in die Millionen (z.B. Blattschneiderameisen) gehen.
Ein weiteres Thema ist, dass viele Arten sehr ausbruchsfreudig sind - und man will die Ameisen ja nicht durch die Wohnung marschieren lassen.
Dann was du geschrieben hast: Sollten relativ wenig Aufwand machen.
Unter der Annahme, dass man eine Art haben will, die etwas "Action" macht, leicht zu versorgen ist, sowie keine allzu hohen Ansprüche stellt, fallen mir z.B. diverse Messor-Arten ein. Hier gibt es auch solche, die keine Winterruhe benötigen. Einige Arten gibt es sowohl in Südeuropa (Winterruhe benötigt), als auch Nordafrika (keine Winterruhe) - da muss man bei selber Art etwas auf die Herkunft achten.
Zwar können Messor-Arten sehr große Kolonien bilden, das dauert aber schon etwas und sie sind nicht ganz so sensibel wie diverse andere exotische Gattungen - man kann also z.B. niedrigere Temperaturen als Vorteil sehen, da das wachstumshemmend wirkt. Auch über weniger Futter kann man etwas regulieren, falls nötig.
Trotzdem würde ich behaupten, dass die Vorteile dieser Gattung überwiegen.
- Es gibt eine deutliche Kastendetermination, von Minor- bis Majorarbeiterinnen, mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Die Arbeiterinnen sind also von wenigen Millimetern bis knapp über einem Zentimeter groß. Man kann das auch live miterleben - mit Anwachsen der Kolonie treten auch vermehrt die größeren Tiere auf, was ein tolles Erfolgserlebnis sein kann. Man freut sich immer, wenn nochmal ein noch größeres Tier geschlüpft ist. Die Königinnen sind deutlich zu erkennen und schön groß, man kann sie also immer gut entdecken
- Messor benötigen nur Samen und Körner als Futter. Keine Gewissenskonflikte bzgl. Futtertieren, keine Versorgungsschwierigkeiten im Winter (unbehandeltes Vogelfutter, Sonnenblumenkerne, Sesam etc. bekommt man problemlos), die Ameisen suchen aktiv Samen, tragen diese ein, lagern diese, stellen daraus das sogenannte Ameisenbrot her. Proteinfutter in Form von Insekten ist optional, begünstigt das Wachstum
- Messor sind nicht gerade als gute Kletterer bekannt, was für unerfahrene Halter von Vorteil ist - selbst bei schlecht angebrachtem oder marodem Ausbruchsschutz schaffen sie es nur schlecht die Scheiben eines Beckens hinauf
- Messor stechen nicht, die kleinen Arbeiterinnen beißen auch nicht spürbar, was sie ziemlich ungefährlich macht. Nur bei den größeren Tieren sollte man etwas aufpassen (sie können schließlich auch Samen öffnen)
- Kleiner Nachteil: Messor bearbeiten auch die Einrichtung des Beckens sehr gerne. Bei großen Kolonien wird alles herumgetragen, begraben etc. was nicht niet- und nagelfest ist. Da kann man schonmal verzweifeln, wenn man mühevoll eingerichtet hat und die Ameisen nehmen alles auseinander. Sorgt aber für stete "Action" [Blockierte Grafik: https://ameisencafe.de/cafe/wcf/images/smilies/wink.png]
ForceMaster sei Dank, er hat kürzlich schonmal eine kleine Liste erstellt von Messor-Arten, die keine Winterruhe benötigen (wie gesagt, unbedingt auf Herkunft bzw. entsprechende Angabe im jeweiligen Shop/vom Verkäufer achten!):
Messor marocanus
Messor cephalothes
Messor aegyptiacus
Messor orientalis
Messor denticornis
Messor decipiens
Selbstverständlich müssen es keine Messor sein, es gibt auch andere Gattungen und entsprechend Arten, die einsteigerfreundlich sind und die ggf. passen könnten. Bloß ist mir diese Gattung unter meinen Annahmen (gerne korrigieren, wo ich falsch liege) herausgestochen. Ich hoffe, mein Roman hilft dir ein wenig weiter. Wir beantworten gerne alle deine Fragen.